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Großes Zittern im kalten Wind

Bei der Olympia-Qualifikation der Schützen halten Petra Horneber, Sonja Pfeilschifter und Swen Schuller der Nervenbelastung stand

Suhl -- "Wenn's ins Extreme geht, dann sind wir doch vielleicht ein bisschen sicherer." Petra Horneber, 35, wählte ihre Worte mit der Vorsicht einer durch Schaden klug gewordenen Schützin. Die Resultate der internen Olympia-Qualifikation des Deutschen Schützen-Bundes  sprachen eine deutlichere Sprache: Schon im ersten Durchgang auf dem Suhler Friedberg lösten die Olympia-Zweite aus Kranzberg sowie Weltmeisterin Sonja Pfeilschifter, 29, von der HSG München die nach den ersten beiden Wettkämpfen mit dem Kleinkaliber-Sportgewehr führende Junioren-Weltmeisterin Karin Schade, 21, aus Ludwigsau im Badischen an der Spitze ab, mit je 583 Ringen gegenüber 572. Am zweiten Tag ließen sie sich ihre zweite Olympia-Teilnahme nicht mehr nehmen, Siegerin Pfeilschifter mit 584, Horneber mit 580 Ringen. Die beiden beendeten damit gleichzeitig die Diskussionen um ihre vorzeitige Nominierung für die Luftgewehrkonkurrenz zum Auftakt in Sydney.

Die beiden erreichten das erste Ziel relativ ungefährdet, obwohl nach den beiden Wettkämpfen von Pfreimd (Oberpfalz) nun im Thüringer Wald zur extremen Nervenbelastung kalter Wind trat. Der blies den Frauen kräftig ins Gesicht, Temperaturen um zehn Grad trugen dazu bei, dass ihnen trotz warmer Bekleidung allmählich die Kälte in die Glieder fuhr. "Ich hab´s nicht gemerkt, dass es so .kalt wird" bekannte Petra Horneber. Als sich zu allem Überfluss am Ende das Finale um eine Stunde verzögerte, wegen des Ausfalls der elektronischen Scheibenanlage, und die Resultate nach alter Sitte auf der Scheibe abgelesen werden mussten, ging auch Sonja Pfeilschifter die Puste aus. "Es war noch nie leicht und es wird nie leicht sein", sprach Petra Horneber das Schlusswort.

Das große Zittern auf dem Suhler WM-Beton von 1986 trieben die Männer zum Extrem. Pfeilschifters Vereinskollege von der HSG München, der 40 Jahre alte Hubert Bichler, behielt zunächst im Wind kühlen Kopf und spielte sein Können voll aus im Liegendmatch mit der KK-Büchse. Der Olympia-Vierte von 1992 hatte schwierige Verhältnisse förmlich herbei gesehnt. In Pfreimd war er auf Grund der für ihn schwierigen Lichtverhältnisse zunächst auf 589 Ringe abgestürzt, in Suhl erzielte er seelenruhig 598. Bichler rückte vom achten Platz auf den zweiten vor, legte 595 nach und schien im Finale schon auf dem besten Wege zu sein, dem führenden Dortmunder Maik Eckhardt den Olympia-Start noch streitig zu machen. Als aber schließlich beide nachließen, nutzte der Schwabe Swen Schuller als lachender Dritter die Gunst der Stunde. Eine "gar nicht so gute Zehn" - genau 10,1 - reichte zum glücklichen Sieg, ein Zehntel vor Eckhardt (9,7); Bichler büßte nach seiner finalen 9,2 im Stechen auch noch Rang drei ein.

Welch tragische Wende, welche Duplizität der Ereignisse: Vor vier Jahren war Bichler in Pfreirnd im Stechschuss um ein Zehntel an dem Eutiner Christian Klees gescheitert, der dann in Atlanta zum Olympiasieger aufstieg. Klees hatte diesmal den einzigen olympischen Quotenplatz herausgeschossen, in Suhl stürzte er mit 587 und 577 Ringen schon vorzeitig ab.

So schnell kann sich bei den Sportschützen das Glück wenden. Dass es heiß hergehen würde, war von vornherein klar, dass es so kalt werden würde auf dem zugigen Friedberg - und das mitten im Sommer - hat Bundestrainer Claus Dieter Roth nicht ahnen können. Wie schwer sich die Spitze der deutschen Gewehrschützen tat, verdeutlichte Hubert Bichler so: Am Donnerstag war die Erfahrung des Urngangs mit wechselndem Wind gefragt, am Freitag ebenfalls, nur spielten jetzt die Windfähnchen - schwer geworden vom Regen - selbst den erfahrenen Athleten Streiche. "Die unterschätzt du total", erklärte Bichler. Verstehe einer noch die Schützenwelt.

Fritz Heimann, Süddeutsche Zeitung, 15.07.2000

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